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Gräber in der Ferne

Trauer braucht einen Ort. Aber wo ist der Ort der Trauer für Aussiedler? Die Gräber ihrer Angehörigen und Vorfahren sind für sie oft nicht erreichbar. Um ihrer Trauer einen Ort zu geben, wird gemeinsam ein Erinnerungsraum geschaffen. Dieses besondere Denkmal soll an Menschen erinnern, deren Gräber weit entfernt oder unbekannt sind. Angehörigen, die diese Gräber nicht besuchen können, soll ein Ort gegeben werden, der persönliche Trauer und Erinnerung ermöglicht.

Auf einem Friedhof in Lemgo wird ein Ort geschaffen, zu dem jede/r kommen kann, der Gräber in der Ferne hat - um zu gedenken und zu trauern. Gedacht ist an Aussiedler (10% der Stadtbevölkerung), genauso aber auch an Kriegshinterbliebene mit Kindern und Enkeln, andere Vertriebene, Gastarbeiter, Flüchtlinge und alle Zugezogenen und Zugewanderten. Das trifft auch auf die hier Geborenen zu, deren Angehörige anonym bestattet worden sind.

Die Idee wurde von einem Arbeitskreis entwickelt und umgesetzt. Darin arbeiten alle christlichen Gemeinden der Stadt und Vereine mit, zu denen zu einem großen Teil oder überwiegend Aussiedler gehören. Eine Jury hat in einem Wettbewerb aus eingereichten Exposés heimischer Künstler/innen den Entwurf einer Lemgoer Bildhauerin ausgewählt. Das besondere Denkmal soll auf dem Hauptfriedhof der Stadt Lemgo (Nordrhein-Westfalen) im Sommer 2011 errichtet werden.

Das Denkmal besteht aus vier quadratischen Steinplatten (90 cm × 90 cm × 13 cm), die waagerecht und senkrecht zu einer ausgewogenen Form ineinander gesteckt sind. Als Symbol hat die Künstlerin ein Haus gewählt. Es steht für Heimat, zu Hause sein, Geborgenheit, Familie, Schutz. Das Haus, als Nische in den Stein gehauen, zum Abstellen einer Kerze oder kleiner Gegenstände Der Text ist aufgeteilt auf die verschiedenen Flächen des Denkmals. So kann jeder Besucher einen persönlichen Trauerort finden. Neben dem Denkmal soll eine weitere quadratische Platte zum Abstellen von Blumen und Kerzen zur Verfügung stehen, mit einer runden Öffnung in der Mitte, in die Heimaterde geworfen werden kann.

Zum Start der öffentlichen Darstellung des Projektes wurde am 28. August 2010, am Jahrestag des Beginns der Deportation Deutscher in der Sowjetunion (1941) nach Kasachstan und Sibirien eine Gedenkveranstaltung abgehalten. Es wurde der neutrale Ort einer Schulaula gewählt. Neben dem Bericht einer Zeitzeugin und einer historischen Einordnung standen Ansprachen zweier Geistlicher im Mittelpunkt. Sie nahmen die Leiderfahrungen auf und stellten sie in den weiten Horizont der Geborgenheit, die das Volk Gottes immer wieder erfahren hat. Verschiedene Musikstücke unterbrachen die Wortbeiträge, zu denen auch ein Grußwort des Bürgermeisters gehörte. Gebet und Segen bildeten den Abschluss. Eine begleitende Ausstellung von Grafiken verdeutlichte das Schicksal der Russlanddeutschen.

Die Veranstaltung war gleichzeitig der Auftakt der Fundraising-Aktion zur Finanzierung der Gedenkstätte. Spenden wurden über die beteiligten Kirchengemeinden gesammelt sowie bei Aktionen, wie z.B. einem Chorkonzert, eingeworben. Dabei erklangen insbesondere russische und deutsche Volksweisen, die Gedanken und Emotionen der Russlanddeutschen aufnehmen.

Das Projekt wird von der lokalen Presse überaus positiv begleitet. Auch überregionale Medien haben berichtet (WDR-Rundfunk, Unsere Kirche). Zur Denkmal-Einweihung will eine Ministerin der Landesregierung kommen.

Verschiedene Bevölkerungsgruppen erkennen, dass sie ein ähnliches Schicksal teilen und unterstützen das Denkmal-Projekt. Beim gemeinsamen Anliegen, Erinnerung von Leid und Unrecht sowie gemeinsame Trauer zu ermöglichen, können verschiedene christliche Gemeinden gut ökumenisch zusammenarbeiten und miteinander beten, was bisher in Lemgo als undenkbar galt.

 


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Publikationsdatum dieser Seite: Mittwoch, 7. Februar 2018 17:39