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Tango-Gottesdienst

Das Themenjahr "Reformation und Toleranz" 2013 im Rahmen der Reformationsdekade wird auf der Internetplattform "Kirche im Aufbruch" unter ganz verschiedenen Blickwinkeln begleitet. Jeden Monat geht es um Verhaltensweisen und Eigenschaften, die Toleranz dem Anderen gegenüber erfordern und ermöglichen. Für den Monat Februar ist dies die Leidenschaft. Dabei kann es sich um erotische Leidenschaft für einen geliebten Menschen oder für den Glauben an Jesus Christus handeln. Es geht aber auch um die Leidenschaft für eine bestimmte Position, für den Einsatz für Schwache und für ein Ehrenamt. Immer wieder besonders augenfällig wird Leidenschaft im Tanz. Ein Tanz, der hierfür als herausragendes Beispiel gilt, ist der Tango. Im Tango vereint sich alles, was das Leben ausmacht. Sehnsucht, Einsamkeit, Leidenschaft, Erotik und Wut. Es ist ein Tanz, der sich zwischen Beherrschung und Unterwerfung abspielt, zwischen Begehren und Zurückweisung. Tango ist aber vor allem ein getanzter Traum von einem besseren Leben.

In den argentinischen Hafenstädten, der Heimat des Tango, existierten im 19. Jahrhundert multiethnische Gesellschaften ganz eigenen Charakters. Indios, Kreolen, Europäer lebten nebeneinander. Sie gehören keiner bürgerlichen Oberschicht an. Die meisten sind Glückssucher, die der Armut und Hoffnungslosigkeit entrinnen wollen. Es entsteht ein Tanz, der genau dieses Lebensgefühl widerspiegelt. Da sind die Gegensätze, die aus der multi-ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung entstehen, das soziale Elend, die Kriminalität und das Verlassensein. Tango wird immer dann aktuell, wenn sich wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen auftun. Er ist ein Spiegel der Unsicherheit und Zerbrechlichkeit einer Welt, die sich in rasender Geschwindigkeit verändert. Der Tango symbolisiert enttäuschte Erwartungen, die Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit. Dies ist der Hintergrund für ganz besondere Gottesdienste, die in der Kölner Lutherkirche entwickelt wurden.

Der gesamte Gottesdienst ist geprägt von der Musik des Tango Argentino. Der Introitus "im Namen des dreieinigen Gottes" ist eine gemeinsame Improvisation von Pfarrer und Orchester. Die Improvisation ist an das Thema des Gottesdienstes angepasst, und ergibt sich aus der Stimmung in der Gemeinde. Ein wesentliches Element des Gottesdienstes ist die Ausgestaltung des Themas, wobei ganz verschiedene Themen im Mittelpunkt stehen, wie z.B. "Hartz IV - Theorie und Wirklichkeit".

Im Tango-Gottesdienst "Hartz IV - Theorie und Wirklichkeit" findet neben der kritischen Reflexion ein Gespräch mit einer Hartz IV-Empfängerin statt, einer 28-jährigen alleinerziehenden Mutter, die sich mutig äußert. Dazwischen antworten immer wieder das Orchester und die Tänzer/innen. Ein Tango-Paar interpretiert das Gesagte. Oder ein Solotänzer interpretiert zum Tango des Orchesters.

Beim Thema "Flüchtlinge - ein afrikanischer Exodus" tanzte ein Solotänzer Tango mit einem Stuhl, wobei die Einsamkeit und die Sehnsucht des Flüchtlings gespürt werden können. Zum Thema "Palästina - Menschen ohne Heimat" tanzte ein lateinamerikanischer Solotänzer zwei Tänze zum Tango: Zunächst stellte er einen Menschen dar mit einem heruntergekommenen Koffer. Dramatisch wurde seine Heimatlosigkeit deutlich. Später tanzte er mit Erde, die er über sich streute: ein Bild für den Menschen ohne Heimat, ohne Erde, zu der er gehören kann.

Im Gottesdienst gibt es eine mit dem jeweiligen Thema korrespondierende Lesung und eine Predigt, die Tango-Philosophie und christliches Bekenntnis mit dem Thema verbindet. Direkt nach dem Gottesdienst besteht beim Kirchencafé Gelegenheit, die Eindrücke auszutauschen. In der Regel entstehen durch die spontanen Reaktionen der Gottesdienstbesucher/innen neue Ideen für weitere Elemente und Themen.

In der Folge gibt es weitere Gespräche mit den Tänzer/innen und dem Kantor, um neue Ideen weiter auszufeilen. Die Eindrücke werden noch einmal rekapituliert, woraus sich z.B. einmal ergab, das Thema dieses Gottesdienstes (Rollenverständnis von Mann und Frau) in weiteren Tango-Gottesdiensten dialogisch aufzugreifen und zu vertiefen.

Bei den Tango-Gottesdiensten ist die Kirche in der Regel voll besetzt: Menschen, die sich schon lange nicht mehr von Kirche angesprochen fühlten, kommen neugierig und sind berührt und begeistert. Viele werden dadurch wieder offen für Kirche, kommen auch zu anderen Gottesdiensten und werden aufmerksam auf die Gemeinde. Einige bringen sich auch aktiv neu ein.


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Publikationsdatum dieser Seite: Mittwoch, 7. Februar 2018 17:39